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Galtür
Galtür (1583 m) ist ein Bergdorf im innersten Paznauntal. Das Tal wird im Norden von der Verwallgruppe, im Süden von der Silvrettagruppe und der Samnaungruppe begrenzt. Der niedrigste Übergang aus dem Tal führt von Galtür über das Zeinisjoch (1844 m) nach Partenen im Montafon. Höher gelegene Übergänge führen ins Engadin und ins Prättigau. Als Pass- und Grenzland ist das innere Paznauntal geprägt von Kontakten zwischen romanischen, alemannischen und bajuwarischen Kulturkreisen.
Das innere Paznauntal diente Engadiner Bauern zunächst als Alm, während der Galtürer Talboden, ein Sumpfgebiet, unbesiedelt blieb. Romanische Siedler ließen sich rings um den Talboden nieder und lieferten ab 1095 ihren Käse-Zins an die Grundherren im Engadin und im Vinschgau ab. An die Kultivierung des Talabschnitts durch die ersten Siedler erinnert heute noch die Ortsbezeichnung Galtür (Cultura). Um 1312 ließen sich Walser am inzwischen trocken gelegten, fruchtbaren Talboden von Galtür nieder. Galtür war der östlichste Punkt zu dem die Walser vordrangen. Eine Urkunde des Bischofs von Chur aus dem Jahr 1383, die die Weihe einer Kirche in Galtür bezeugt, unterscheidet zwischen „Einwohnern“ und „Walsern“. Vermutlich wurden die Walser noch lange als Fremde wahrgenommen. Eine Integration der Ethnien vollzog sich über Jahrhunderte hinweg. Mitte des 16. Jahrhunderts sind die Bewohner in einer deutschsprachigen Mehrheit aufgegangen. Auch Bauern aus dem Montafon und Tirol waren inzwischen ins innerste Paznauntal vorgedrungen. Die Vermischung der verschiedenen Sprachen und Dialekte ist heute noch an den Flurnamen ablesbar.
Im Zuge des Dreißigjährigen Krieges wurde Galtür im Sommer 1622 geplündert und teilweise niedergebrannt. Auch die Kirche fiel der Brandschatzung zum Opfer, das Gnadenbild der Muttergottes blieb allerdings unversehrt. Der Ort entwickelte sich dann vor allem im 18. Jahrhundert zu einem bekannten Wallfahrtsort. Die Kirche, die im 18. Jahrhundert erweitert und im Rokoko-Stil ausgestaltet wurde, feierte 1960 das 600jährige Wallfahrtsjubiläum. In den 70er Jahren wurde sie nach Plänen Clemens Holzmeisters umgebaut und vergrößert. Besonders sehenswert ist der Friedhof mit seiner Totenkapelle.
Bis ins späte 18. Jahrhundert lebte der Ort vom Handel ins Montafon und Engadin. Im 19. Jahrhundert verarmten die Bergbauern zusehends und viele mussten als Schwabenkinder wegziehen oder sich mit Schmuggeln von Kaffee und Tabak ein karges Einkommen sichern. Erst mit der Entdeckung der Bergwelt durch den Tourismus erholte sich der Ort. Seit Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Gebiet verkehrstechnisch erschlossen, die erste Unterkunft, die Jamtalhütte, wurde 1882 erbaut. 1954 wurde die Silvretta-Hochalpenstraße für den Massenverkehr freigegeben.
Lawinen und Hochwasser haben Galtür in seiner extremen und ausgesetzten Lage durch Jahrhunderte hindurch immer wieder bedroht. Das letzte große Lawinenunglück ereignete sich im Februar 1999. Als Reaktion darauf entstand das so genannte „Alpinarium“, eine 345 Meter lange und 19 Meter hohe Schutzmauer, die gleichzeitig als Ausstellungsraum und Veranstaltungsort dient.
Literarischen Ruhm erlangte Galtür durch Ernest Hemingways Erzählung Ein Gebirgsidyll. Die makabre Erzählung handelt von einem Bauern, der seine tote Frau für Monate im Schuppen aufbewahrt und als Laternenpfahl gebraucht, weil Eis und Schnee es nicht erlauben, die Leiche der Verstorbenen in das nächste Dorf zu bringen. Hemingway greift hier den in Galtür besonders dicht überlieferten und häufig mit schaurigen Details ausgeschmückten Mythos auf, dass Verstorbene in den Wintermonaten unbeerdigt blieben und erst im Frühling über die Jöcher gebracht und bestattet wurden. Der Mythos spiegelt das komplizierte Verhältnis wider, das in Galtür zwischen den Ethnien bestand. Der Ort verfügte seit 1383 über eine eigene Kirche mit Bestattungsrecht. Während es für Engadiner vermutlich selbstverständlich war, ihre Angehörigen in die heimatlichen Familiengräber zu überführen, mochte dies den Walsern als Frevel erscheinen. Gerade in den Wintermonaten, in denen die Bevölkerung auf engem Raum eingeschlossen lebte, mochten die unterschiedlichen Praxen augenfällig werden. Insbesondere dann, wenn Jöcher aufgrund von Lawinen vorübergehend unpassierbar waren, und die Verstorbenen vielleicht in manchen Fällen nicht gleich überführt werden konnten. Bezeichnenderweise berichtet die romanische Version der Legende anderes, nämlich davon, dass die Leichen der im Winter Verstorbenen über das Urezas Joch zum „Plan de Preirs“ (Priesterplatz) gebracht und dort im Rahmen eines Rituals im Schnee vergraben wurden, um im Frühjahr auf den Friedhof in Ardez überführt zu werden.
Quellenangabe: Galtür. Zwischen Romanen, Walsern und Tirolern. Hrsg. v. d. Gemeinde Galtür. Galtür 1999.
Huhn, Nikolaus: Galtür - Ein kleines Dorf mit großer Vergangenheit. In: http://air.droessler.at/berichte/Galtuer/Galtuer/galtuer_mortschaft.htm
Pfaundler-Spat, Gertrud: Tirol-Lexikon. Ein Nachschlagewerk über Menschen und Orte des Bundeslandes Tirol. Vollständig überarbeitete und ergänzte Neuauflage. Innsbruck: StudienVerlag 2005.
Verfasser/in: Iris Kathan
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