D. H. Lawrence und Frieda Weekley, die sich 1912 in Nottingham kennen und lieben gelernt und England Hals über Kopf verlassen haben, unternehmen im Sommer 1912 eine Fußwanderung über die Alpen. Sie sind ein ungewöhnliches Paar. D. H. Lawrence, 26 Jahre alt, ist im Kohlenbergwerksgebiet der englischen Midlands aufgewachsen. Seinen Lehrberuf hat er wegen einer Tuberkuloseerkrankung aufgeben müssen, er ist zu diesem Zeitpunkt ein wenig beachteter und auch wenig bemittelter Schriftsteller. Frieda Weekley, geborene Freiin von Richthofen, 32 Jahre alt, stammt aus der preußischen Militäraristokratie und hat eben Mann und Kinder in England zurückgelassen. In den Jahren 1907 und 1908 ist sie in München durch ihre Schwester Else, verheiratet mit dem Nationalökonom Edgar Jaffé, mit den Intellektuellenzirkeln München-Schwabings in Kontakt gekommen, vor allem mit dem Gedankengut des Psychoanalytikers Otto Gross.

In Icking an der Isar und Wolfratshausen verbringt das Paar zunächst einige Zeit bei der Schwester Friedas, Else Jaffé. Hier entschließen sie sich dazu, eine Fußwanderung in den Süden zu unternehmen. Die Reise von D. H. Lawrence und Frieda Weekley ist sehr gut dokumentiert. Auf dem Weg von Bad Tölz nach Tirol kommt das Paar in ein Gewitter und muss in einem Heustadel im Röhrlmoos (unterhalb des Ross- und Buchsteins) Unterschlupf suchen. D. H. Lawrence verarbeitet dieses Erlebnis in der Erzählung A Chapel and a Hay Hut among the Mountains, die er in Mayrhofen im Zillertal schreibt. Am 7. August 1912 passiert das Paar mit dem Postbus von Kreuth am Tegernsee über den Achenpass die deutsch/österreichische Grenze. Lawrence ist voller Sympathie für Österreich. Nach kurzen Aufenthalten am Achensee und in Kufstein reist das Paar mit der Zillertalbahn nach Mayrhofen, wo es vom 10. bis zum 27. August bleiben wird. Die beiden nehmen ein Zimmer im Haus Nr. 138 bei Fräulein Schneeberger, heute vermutlich das Gasthaus zur Brücke (Vgl. Norbert Mayr. Das Kruzifix im Gebirge). Wanderungen führen ins Tuxer Tal und in die Zemmbachklamm. Am 18. August kommt auch David Garnett, der Sohn von Edward Garnett, Lektor und Förderer von Lawrence, nach Mayrhofen, am 19. August dessen Freund Harold Hobson. Am 27. August brechen die vier Reisenden von Mayrhofen Richtung Zemmtal auf. Dort sieht D. H. Lawrence ein großes Wegkreuz von Franz Seraph Nissl, das ihn sehr beeindruckt. Er schreibt darüber in seinen Essays Christs in the Tyrol, The Crucifix Across the Mountains. Nach einer Nacht in einem Heustadel erreicht die Gruppe am Morgen des 28. August den Gasthof Breitlahner. Über einen Pfad (heute eine Mautstraße) gelangen sie über den Zamser-Grund hinauf zur Dominikushütte. Hier übernachten die Wanderer. Der beschriebene Wegverlauf hat sich durch den Bau des Schlegeis-Stausees in den 60er Jahren wohl sehr verändert. Die ursprüngliche, am Zamser-Grund liegende Dominikushütte ist im Stausee verschwunden. Eine neue, größere Hütte wurde an anderer Stelle wieder aufgebaut, der Name blieb erhalten. Am 29. August steigen die Wanderer zum Pfitscher Joch hinauf. Dieser Wegabschnitt hat sich kaum verändert. Wieder entdeckt D. H. Lawrence unterhalb des Jochs ein Kruzifix, das ihn fasziniert und in einige seiner Werke Eingang findet. Nach kurzem Aufenthalt am Pfitscher Joch steigen sie ins Pfitscher Tal hinab und wandern weiter Richtung Sterzing.

D. H. Lawrence und Frieda Weekley erinnern sich an diese Reise, die ja auch den Beginn ihrer Beziehung zueinander und den Aufbruch aus den als beengend erlebten Verhältnissen markiert, als eine besonders glückliche und wichtige Zeit ihres Lebens. Für Lawrence beginnt hier eine intensive Schaffensperiode. Die Eindrücke dieser Reise verarbeitet D. H. Lawrence unter anderem in den Romanen Women in Love (1920) und Mr. Noon (postum 1984) literarisch. Immer wieder zieht es ihn an die Grenzen der Zivilisation: die Alpen, den Apennin, die Rocky Mountains, eine Welt, die er durchaus ambivalent, ja bedrohlich, erlebt. In den letzten Kapiteln von Women in Love bildet die Gegend von Mayrhofen (dort Hohenhausen) bis zum Pfitscherjoch den symbolischen Rahmen eines gesellschaftlichen Ausstiegs. Für einen der Protagonisten endet dieser Ausstieg in der exponierten und lebensfeindlichen Bergwelt tödlich. Eine Verfilmung von Ken Russell aus dem Jahre 1969 siedelt die Handlung am Matterhorn an.

David Herbert Lawrence wird am 11. September 1885 in Eastwood (Nottingham) als viertes Kind von Arthur John Lawrence und Lydia Beardsall geboren. Die kleine Stadt Eastwood, nahe am legendären Wald von Sherwood gelegen, liegt im Kohlenrevier der englischen Midlands. Der Vater arbeitet in den Kohlengruben, die Mutter, eine Lehrerin, kommt aus einer gebildeten Familie aus dem niederen Mittelstand. Der Ehe zwischen dem ungleichen Paar entspringen fünf Kinder. Sie verläuft unharmonisch, mitunter gewalttätig. D. H. Lawrence ist schon als Kind kränklich und hat früh gegen die in Kohlebergwerksgebieten verbreitete Tuberkulose anzukämpfen. Die Mutter, die ihren Ehemann verachtet, demütigt den Vater, entfremdet ihn den Kindern und konzentriert die Liebe ihrer Kinder auf sich selbst. Vor allem D. H. Lawrence, er ist ihr jüngster Sohn, hat die Stellung des Gefährten und Liebhabers in ihrem Leben. Beziehungen zu Mädchen weiß die Mutter zu unterbinden. D. H. Lawrence verlässt mit 23 seine Heimatstadt, um in der Umgebung Londons eine Stelle als Lehrer anzunehmen. 1910 stirbt die Mutter an einem Krebsleiden, D. H. Lawrence pflegt die Sterbende in den letzten Monaten ihres Lebens. Als er 1911 schwer an Tuberkulose erkrankt, muss er seine Stellung als Lehrer aufgeben. Nach einem Erholungsurlaub in Bournemouth kehrt Lawrence nach Eastwood zurück. Dort lernt er 1912 die aus Deutschland stammende Frieda von Richthofen kennen, die mit einem seiner ehemaligen Professoren, Ernest Weekley, verheiratet ist, und schon drei Kinder hat. Die beiden verlieben sich ineinander und verlassen im Mai 1912 fluchtartig England. Sie reisen zunächst in die Heimat Friedas, überqueren dann die Alpen und verbringen einige Zeit in Mayrhofen in Tirol, ehe sie ihre Fußwanderung weiter zum Gardasee fortsetzen, wo sie über den Winter bleiben. Nach längeren Aufenthalten in Italien und Bayern und der skandalösen Scheidung Frieda von Richthofens von ihrem Mann heiratet das Paar am 13. Juli 1914 in London und bleibt in England. Der erste Weltkrieg bricht aus, Lawrence ist gegen diesen Krieg, hat große Angst davor in den Krieg zu müssen, möchte fliehen, gar eine Künstlerkolonie gründen und bittet allerorts um finanzielle Unterstützung. Als die allgemeine Wehrpflicht 1916 in Kraft tritt, wird Lawrence aufgrund seiner Schwindsucht nicht eingezogen. Im September 1915 erscheint The Rainbow, wegen der scheinbaren Obszönität des Romans wird das Buch verboten und Lawrence gerät so ins gesellschaftliche Abseits und in tiefe Armut. Im März 1916 zieht das Paar in ein entlegenes Landhaus in Cornwall. Lawrence und seine deutsche Frau werden der Spionage verdächtigt und schließlich aus Cornwall ausgewiesen. 1919 verlassen die Lawrences England und unternehmen zahlreiche Reisen (lange Aufenthalte in Italien, Sri Lanka, Australien, New Mexico und Mexiko). 1925 erkrankt Lawrence wieder schwer an seiner Tuberkulose und kehrt endgültig nach Europa zurück. 1928 erscheint Lady Chatterley's Lover, Lawrences wohl bekanntester Roman, für den er die Herstellungskosten selbst übernimmt. Die englische Presse reagierte mit großer Empörung auf das Buch. In England werden auf Geheiß des Innenministeriums von Post- und Zollbehörden alle erreichbaren Exemplare beschlagnahmt und vernichtet. D. H. Lawrence stirbt im Alter von 44 Jahren in Vence (Frankreich).