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Hildegard Jonevon Andreas Zoderer
(Klara Huber) Geb. 01.06.1891 in Sarajewo; gest. 28.08.1963 in Purkersdorf bei Wien.
Hildegard Jone verbrachte ihre Kindheit in Sarajewo. Gefördert von ihren kunstinteressierten Eltern, dem Vater Ludwig Huber aus Ried i. I. (Architekt) und der Mutter Amélie (geb. Gräfin Deym) aus Wien, entfaltete sie schon in früher Jugend ihre bildnerische und literarische Begabung. Nachweisbar ist auch eine musikalische Bildung. Sie übersiedelte 1908 mit ihrer Mutter nach Wien, wo sie die Wiener Kunstschule für Frauen und Mädchen besuchte und Privatschülerin des Bildhauers Josef Humplik (1888-1958) wurde, den sie 1921 heiratete.
Vom 12. 4. bis 10. 5. 1919 partizipierte das Künstlerpaar erstmals gemeinsam an der ersten Ausstellung der Neuen Vereinigung Malerei-Plastik-Graphik in Wien, letztere ging im gleichen Jahr in den avantgardistischen Hagenbund auf, der bis zu seiner Auflösung 1938 Hildegard Jones wichtigster Ausstellungskontext blieb. Die ersten Kritiken bescheinigten Jone eine herausragende Rolle als expressionistische Künstlerin, als die sie sich auch selbst positionierte. Die in den ersten Exponaten, u. a. dem Biblischen Zyklus, bereits erkennbare religiöse Orientierung führte Anfang der 1920er Jahre zu einer Abkehr vom Expressionismus und einem dezidiert christlich-katholisch engagierten Selbstverständnis. 1918 erschienen das Gedicht über die Tänzerin Grete Wiesenthal, zu der sie eine lebenslange Freundschaft pflegte, und Prosatexte in der von Karl F. Kocmata herausgegebenen anarchistischen und lebensreformerischen Bewegungen nahestehenden Zeitschrift VER! sowie der Gedichtband Ring, mein Bewußtsein! im VER-Verlag. Die emphatischen, syntaktisch freien Texte zeigten, dass Jones religiöses Empfinden eher als von Sündenbewusstsein und Heilserwartung aus einem der Naturerfahrung entspringenden Erleben herrührte (vgl. Reinecke S. 136).
In dieser Zeit setzte sich Jone intensiv mit Peter Altenberg auseinander, der sie als Lebens -und Ernährungslehrer interessierte. Auch Kontakte zu Adolf Loos gelten als wahrscheinlich. Ab 1920 wurde ihr Karl Kraus zum geistigen Brennpunkt, dessen Vorlesungen sie häufig besuchte, wobei auch Skizzen von Karl Kraus entstanden. Er sensibilisierte Jones ethisches Sprachbewusstsein, das sich später im Austausch mit dem Sprachphilosophen Ferdinand Ebner zu einem prononciert religiös fundierten Sprachvertrauen entwickelte. Der Kontakt zu Ludwig von Ficker 1925 und die Begegnung mit Anton Webern 1926 eröffneten Jone zwei Kulturkreise, die ihrer Lyrik neue Publikationswege ebneten: Der Brenner und Weberns Vokalwerk ab op. 23. Die Annäherung zu Ficker verlief über die beiderseitige Verehrung Georg Trakls. 1927 erschien im Brenner die Gedichtsammlung Der Mensch im Dunkeln, die Gedichte von 1916-26 enthielt, 1928 die Sammlung Verantwortung der Liebe, womit Jone in katholischen Kreisen als "Beispiel für die neue Religiosität unserer Zeit" bekannt wurde (vgl. Heinrich Getzeny im Literarischen Ratgeber für die Katholiken Deutschlands 1926-28). 1930-31 folgten Veröffentlichungen ihrer Gedichte in der von Romano Guardini herausgegebenen katholischen Zeitschrift Die Schildgenossen und in Die christliche Frau (Hsg. von Gerta Krabbel). Der Kontakt zum Brenner-Mitarbeiter Ferdinand Ebner entstand 1928 durch Jones Initiative. Vor seinem Tod 1931 überantwortete er Jone seinen Nachlass. Dessen Betreuung übernahm Jone in den folgenden Jahrzehnten, sie verfasste Einleitungen und Essays, gab Tagebücher und Aphorismen heraus wie die 1935 im Friedrich Pustet-Verlag veröffentlichte Aphorismensammlung Wort und Liebe.
1934 mündete die Freundschaft zu Anton Webern in ersten Gedichtvertonungen, beruhend auf dem zum Gedenken Ebners im Brenner 1932 erschienen Zyklus Via Inviae. Weitere Vertonungen bis zu Weberns Tod 1945 waren u. a. Des Herzens Purpurvogel 1934, Freundselig 1941, der Lumen-Zyklus 1944. Dadurch wurde Jone über die katholischen Kreise hinaus bekannt. Einerseits neigte die Auswahl der im Brenner erscheinenden Gedichte zu einer heilsgeschichtlichen Perspektive auf Jones Werk (vgl. Reinecke S. 191), die ihre zunehmende Hinwendung zum Katholizismus in ihrer "Trost und Mitleidstimme" (vgl. Reinecke S. 47) zur Geltung kommen ließ. Anderseits zeigten sich die durch Webern vertonten Texte inspiriert von der in der Natur wahrnehmbaren Präsenz Gottes und somit als Ausdruck freudiger Teilhabe, aus der die für Jone so bedeutsame gemeinschaftsbildende Kraft der Kunst entstand (Vgl. Jone, in Reinecke S. 89).
In den 1930er und 1940er Jahren verhielt sich Jone dissident zum Nationalsozialismus. Einladungen von dem Nationalsozialismus gewogenen Zeitschriften schlug sie aus. Zwischen 1931 und 1957 beteiligte sie sich an keinen Ausstellungen. 1934 übersiedelte sie mit ihrem Mann nach Purkersdorf und lebte zurückgezogen. Van Goghs Briefe und Hölderlin zog sie zu intensiver Lektüre heran, sie galten ihr als "gotterleidende Künstler", Theresa von Avila und Hildegard von Bingen standen im Mittelpunkt ihres mystisch-religiösen Strebens. Die nach 1945 angestrengten Verlagsverhandlungen um ihr Werk blieben bis auf den unter Monsignore Otto Mauer 1948 im Wiener Herder-Verlag publizierten Band Anima. Gedichte des Gottesjahres ergebnislos. Ihre Gedichte fanden aber in den 1950er Jahren in zahlreichen Anthologien Eingang. Im Mai 1957 wurde in Verbindung mit der Wiener Secession eine Werkschau Jone/Humplik in Wien eröffnet.
Jone, die ihre letzten Jahre nach dem Tod ihres Mannes 1958 in großer Armut verbrachte, starb in Purkersdorf, wo im Heimatmuseum ihr und Josef Humplik ein Raum gewidmet ist.
- Ring, Mein Bewußtsein!. Hg. Karl F. Kocmata. Wien: Verlag des Ver! 1918 (Das neue Gedicht 6)
- Selige Augen. Hg. Karlheinz Schmidthüs. Freiburg: Herder 1938 (Zeugen des Wortes), 71 S.
- Anima. Gedichte des Gottesjahres. Hg. Otto Mauer. Wien: Herder 1948, 167 S. (Leseprobe aus "Anima")
- Tu auf dein Herz. Hg. Otto Mauer. Wien: Herder 1948/49 (Info)
- Abgrundseele. In: Ver!. Hg. Karl F. Kocmata. Heft 26/27. Wien: Verlag des Ver! 11.1918, S. 374-375
- Tanz und Grete Wiesenthal. In: Ver!. Heft 14/15. Verlag des Ver! 5.1918, S. 183-184
- Gedanken über Kunst. In: Neue Vereinigung Malerei-Plastik-Graphik. Katalog der 1. Ausstellung der Neuen Vereinigung Malerei-Plastik-Graphik Wien 12. April-10- Mai 1919. Wien 1919, S. 13-19
- Der Mensch im Dunkeln. In: Der Brenner. Jg./Nr. 11, Frühling 1927 , S. 101-156
- Verantwortung der Liebe. In: Der Brenner. Jg./Nr. 12, Frühling 1928 , S. 120-174
- Der Brunnen der Tränen. In: Die christliche Frau. Hg. Gerta Krabbel. Heft 7. Münster: Verlag der Regensbergschen Verlagsbuchhandlung Münster Jg./Nr. 29, 7.1931, S. 210
- Via inviae. Im Gedenken an Ferdinand Ebner. In: Der Brenner. Jg./Nr. 13, Herbst 1932 , S. 60-74
- Die Schildgenossen: Die Freude. Hg. Romano Guardini, Helene Helming, Rudolf Schwarz . Heft 1. Jg./Nr. 13, 10.1933, S. 16-26
- Vorwort zu Ferdinand Ebners Tagebüchern. In: Die Schildgenossen. Hg. Romano Guardini. Jg./Nr. 3, O.-02.1934, S. 209-211
- Arnold Schönberg zum 60. Geburtstag. In: Festschrift Arnold Schönberg zum 60. Geburtstag. Wien: Universal Edition 1934, S. 2-3
- Ferdinand Ebner: Wort und Liebe. Hg. Hildegard Jone. Regensburg: Pustet 1935, S. 7-26
- Für Ferdinand Ebner. Stimmen der Freunde. Hg. Hildegard Jone. Regensburg: Pustet 1935, S. 5-10
- Ferdinand Ebners Worthaben. In: Die Schildgenossen. Hg. Romano Guardini, Helene Helming, Rudolf Schwarz. Heft 6. Jg./Nr. 17, 12.1938, S. 433-436
- Das Feldpostpäckchen. In: Die christliche Frau. Hg. Gerta Krabbel. Heft 7. Münster: Verlag der Regensbergschen Verlagsbuchhandlung Münster Jg./Nr. 38, 7.1940, S. 89-91
- Ferdinand Ebner: Das Wort ist der Weg. Aus den Tagebüchern. Hg. Hildegard Jone. Wien: Herder 1949, S. VII-XVII
- Das Christkind zu den Kindern. In: Hausbuch zur Advents- und Weihnachtszeit. Hg. Georg Thurmair, Karlheinz Schmidthüs. Freiburg: Christophorus-Verlag 1955, S. 150
Sekundärliteratur (Auswahl)
- In: Stieg, Gerald: Der Brenner und die Fackel. Ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte von Karl Kraus. Salzburg: Otto Müller 1976 (Brenner-Studien 3)
- Walter Methlagl: Woge und Kristall. Georg Trakl - Hildegard Jone - Anton von Webern. In: das Fenster. Tiroler Kulturzeitschrift. Heft 42. Innsbruck [u.a.]: Tyrolia 1987, S. 4130-4134
- Lauriejean Reinhardt: Webern's Literary Encounter with Hildegard Jone. In: Mitteilungen der Paul Sacher-Stiftung 5. 1992
- Thomas Reinecke: Hildegard Jone (1891-1963). Untersuchungen zu Leben, Werk und Veröffentlichungskontexten. Frankfurt am Main: Peter Lang 1999 (Europäische Hochschulschriften Reihe I Deutsche Sprache und Literatur Bd. 1731)
- In: Zeitmesser. 100 Jahre "Brenner". Hg. Forschungsinstitut Brenner-Archiv. Innsbruck: innsbruck university press 2010
- In: Deutsches Literatur-Lexikon. Das 20. Jahrhundert. Begr. von Wilhelm Kosch. 2014 (Bd. 23), S. 596-598
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