847177 Sonderkapitel der Gebäudelehre - Alpiner Raum

Sommersemester 2011 | Stand: 20.07.2011 LV auf Merkliste setzen
847177
Sonderkapitel der Gebäudelehre - Alpiner Raum
SE 2
2,5
Block
jährlich
Deutsch
Das touristische Erlebnis ist keineswegs eine passive statische und ausschließlich visuelle Konsumtion von Landschaften und Dienstleistungen sondern vielmehr eine aktive multi-sensuale Performance, die – und das gilt insbesondere für die Alpen – in dynamischen Bewegungszyklen erfahren wird. Alpine Gebäudelehre lässt sich daher nicht auf den Funktionsablauf einzelner Gebäude reduzieren, sondern muss alle Betätigungsfelder in der gesamten Erlebnislandschaft einbeziehen, von der Anreise zum Hotel über die Berg- und Talstationen, das Nachtleben bis hin zur Abreise. Die unterschiedlichen Erwartungshaltungen und Kulturen von Touristen, Dienstleistern und Einheimischen produzieren mitunter problematische Dreiecksbeziehungen. Daher wird ihre Interaktion zum Selbstschutz aller Beteiligten durch spezifische Rituale und vielschichtige Bühnenlandschaften gefiltert und moduliert, sodass für alle Beteiligten sowohl Bühnen zur Selbstdarstellung als auch private Rückzugsorte gesichert sind.
Die Tiroler Täler mit ihrer ausgeprägten touristischen Infrastruktur (Saisonstädte) eignen sich besonders, um Einflüsse überregionaler Transformationsprozesse und Modernisierungsschübe auf die lokale Kulturlandschaft und Architektur zu analysieren. Die Erlebnislandschaften in den Tiroler Tälern sind keineswegs ausschließlich auf Basis von Ideen und Konzepten lokaler Seilschaften entstanden, sondern sie stellen Koproduktionen dar, die von Reisenden und Bereisten sukzessive ausgebaut und ausdifferenziert wurden: die baulichen Formationen folgten den Erwartungshaltungen vorrangig deutscher Touristen, wurden mit Geldern aus dem Marschall Plan finanziert und mit hohen Anteilen an Saisonarbeitskräften aus Ostösterreich und dem vormaligen Jugoslawien betrieben. Die Einübung in das Dienstleistungsgewerbe und der transnationale Kulturaustausch mögen manche vermeintliche Fehlentwicklungen (vor allem auch aus dem Blickwinkel des akademischen Architekturbetriebes) hervorgebracht haben, sie haben aber auch maßgeblich zu jener radikal beschleunigten „Modernisierung“ der Lebens- und Arbeitswelt in den Talschaften beigetragen, die es ermöglicht, dass heute das über die Jahrzehnte erarbeitete Know-how in der Errichtung, im Betrieb und in der Choreographie der Erlebnislandschaften erfolgreich und weltweit exportiert wird ...
Die Lehrveranstaltung besteht aus einem Input-Block mit Vorlesungen und kleinen Übungen zur Methodik und einem seminaristischen Workshopblock, der von eigenständigen Feldforschungen unterbrochen ist. Im Workshopblocks werden die Ergebnisse der Recherchen gemeinsam in ein raumgreifendes Wegenetzmodell übersetzt: Am Beispiel einer Tiroler Tourismusdestination in einem hochgelegenen Tal werden die Mobilitätsstränge ausgewählter Akteure – die von Einheimischen, Dienstleistern und Touristen zurückgelegten Wege – rekonstruiert. Grundsätzlich besteht das Modell aus zwei miteinander in Beziehung gesetzten Raum Ausschnitten: In der ‚Totale’ werden aus dem Makroblickwinkel durch die gesamte Tallandschaft verlaufende Akteurswege nachgebaut (Anreise, Abreise, Bewegungen im Ort, auf der Piste, etc.). Auf der Mikroebene geben ‚Zooms’ die ebenso auf Akteurswegen basieren die Innen-Raumfolgen von typischen Gebäudetypologien (Hotels, Discos, Mittelstationen, Terminals, etc.) wieder. Das Workshop endet mit einer kleinen Performance im Rahmen derer jede Gruppe ihren jeweiligen Beitrag am gemeinsamen Wegenetzmodell präsentiert. Dazu werden, ähnlich wie in einem Figurentheater, die eigens angefertigten Figuren, Requisiten und Bühnenbilder benutzt.
Wie in einem Entwurfsseminar hat die Schlusspräsentation des jeweiligen Modellsausschnittes immanenten Prüfungscharakter. Bewertet werden zudem aber auch die Intensität der eigenständigen Recherche, der Grad der Anwesenheit sowie die Aktivität, Intensität und Qualität der Mitarbeit während der gesamten Lehrveranstaltung.

Beginn:
21.-22.03. ganztags, Institut
08.-12.04. ganztags, Institut