LFU:online

Die Studierenden verfügen über begriffliches und kritisch-reflexives Wissen und sind im Stande, Bedingungen von Sozialisationsprozessen zu historisieren.

Das Seminar behandelt Traditionslinien des Modernisierungsprozesses, die für Gewaltstrukturen in Kinderheimen bis in die 1970er prägend werden sollten. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts setzte ein Psychiatrisierungsprozess der Kindheit (Michel Foucault) mit dem erbbiologischen Erklärungsmodell der Degenerationslehre ein. Unter dem Vererbungsparadigma wurde die christliche Normierung des „sündigen Lebenswandels“ verwissenschaftlicht und das Fundament für eine Medizinierung der Figur des „unerziehbaren Kindes“ gelegt. Die Verschweißung der christlichen Sexual- und Arbeitsmoral mit der „Wissenschaft von der Verwahrlosung“ (Detlev J. K. Peukert) und der gerichtsmedizinischen „Macht der Normalisierung“ (Michel Foucault) psychiatrisierte Heimkinder auf doppelte Weise: als Abkömmlinge „degenerierter“ Eltern (z.B. „Arbeitsscheue“, Vagabunden, uneheliche Mütter, Prostituierte) sowie als „nicht erziehbar“ mit einer negativen geschlechtsstereotypen Wesenszuschreibung („triebhaft“, „widerspenstig“, „faul“). Das psychiatrische Diagnoseschema wurde instruktiv für Zwangssterilisationen sowie den medizinischen Mord von Patientinnen und Patienten im Nationalsozialismus, wovon auch Heimkinder betroffen waren. Im Rahmen einer biopolitisch motivierten Gewaltzuspitzung konnten sie außerdem schon im 19. Jahrhundert im Zeichen des medizinischen Erkenntnisfortschritts Opfer von medizinischen Experimenten werden.

Lehrvortrag, Präsentationen, Diskussionen

Mündliche und schriftliche Beiträge der Seminarteilnehmer*innen, Lektüre der Literatur zur LV, durchgehende Anwesenheit

Wird durch die Seminarleiterin auf OLAT bekannt gegeben.